Gesundheit

Stärkung während der Entbindung erlaubt

Bis vor Kurzem wurde Schwangeren angeraten, während der Entbindung keine Stärkung zu sich zu nehmen, also weder zu essen noch zu trinken. Die Empfehlung gründete in der Angst, die Schwangere könnte sich verschlucken und es so zu schlimmen Komplikationen kommen. Doch heute ist diese These längst überholt.

Essen und Trinken während der Entbindung

Früher

wurde Schwangeren tatsächlich davon abgeraten, während der Entbindung zu essen oder zu trinken. Grund dafür war die Angst vor schweren Komplikationen, weil die Schwangere sich möglicherweise verschlucken könnte.

Diese Empfehlung stützte sich vor allem auf die Forschungsergebnisse des US-Arztes Curtis L. Mendelson aus dem Jahr 1949. Mendelson stellte damals fest, dass Mütter, die während der Wehen gegessen oder getrunken hatten, ein erhöhtes Risiko für Geburtskomplikationen hatten1. Ganz genau war damit Folgendes gemeint: die Angst vor dem Aufstoßen von Nahrungsbrei aus dem Magen in die Speiseröhre und dem Einatmen in die Lunge. Mendelsons Arbeit führte zu einem strengen Ess- und Trinkverbot während der Geburt, vor allem, weil Geburtsstillstände zur damaligen Zeit oft durch einen Kaiserschnitt unter Vollnarkose behandelt wurden.

Heute

ist das längst nicht mehr so. Besonders in den frühen 2000er Jahren fanden verschiedene wissenschaftliche Studien heraus, dass das Risiko, sich während der Entbindung zu verschlucken, eigentlich sehr gering ist.

Eine Studie aus dem Jahr 2009 beispielsweise kam zu dem Ergebnis, dass die Aufnahme einer leichten Diät während der Geburt weder den Geburtsverlauf noch das Neugeborene beeinflusst und auch nicht die Wahrscheinlichkeit von Erbrechen erhöht2.

Eine 2013 durchgeführte vergleichende Überprüfung von mehreren Studien fand „bei Frauen mit niedrigem Risiko für Komplikationen“ keine wesentlichen Vorteile oder Risiken durch Essen und Trinken während der Geburt. Die traditionellen Praktiken der Nahrungsbeschränkung während der Geburt seien möglicherweise unbegründet3.

Eine kanadische Studie aus 2015 unterstrich, dass gesunde Frauen von einem leichten Snack profitieren können, da die Wehen- und Geburtsphase körperlich äußerst fordernd ist. Die beteiligten Forscher*innen hatten dazu 385 Studien zu Krankenhausgeburten analysiert, die ab 1990 veröffentlicht wurden. Sie fanden heraus, dass gebärende Frauen einen ähnlichen Energie- und Kalorienbedarf wie Marathonläufern haben. Ohne ausreichende Ernährung nutzt der Körper der Frauen die eigenen Fettreserven als Energiequelle und erhöht so den Säuregehalt im Blut der Mutter und des Säuglings. Das wiederum verringert potenziell die Gebärmutterkontraktionen und bedingt längere Geburten sowie niedrigere Gesundheitsbewertungen (AGAP-Wert) bei Neugeborenen. Die Studien deuten außerdem darauf hin, dass das Fasten emotionalen Stress verursachen kann, was möglicherweise die Geburt verlängert und das Baby belastet4.

Und spätestens seit Snickers TV-Werbung macht, wissen im Grunde alle: Du bist nicht du selbst, wenn du Hunger hast.

Deshalb

Die aktuellen Empfehlungen tendieren dazu, die individuellen Bedürfnisse und die Risikobewertung in der Betreuung während der Geburt zu berücksichtigen. Durch die Fortschritte in der Geburtsmedizin, einschließlich der Entwicklung immer sichererer Anästhesiemethoden, ist es heute auf den meisten Geburtsstationen üblich, dass jede Schwangere selbst entscheiden kann, ob und wann sie während der Geburt essen und trinken möchte. Expert*innen empfehlen eine flexible, an die Bedürfnisse der Schwangeren angepasste Ernährung während der Geburt. Diese Entscheidung sollte stets in Absprache mit dem betreuenden medizinischen Team getroffen werden, um die Sicherheit und das Wohlbefinden der Schwangeren und ihrem Kind zu gewährleisten.

SNACKS WÄHREND DER GEBURT GEBEN Mama UND BABY AUSREICHEND ENERGIE

Ernährungsmediziner empfehlen daher leichte, kohlenhydratreiche Speisen, die ballaststoffreich sind und somit dem Körper über einen relativ langen Zeitraum Energie zur Verfügung stellen. Schokolade mit ihrem hohen Zuckeranteil oder auch Traubenzucker mögen zwar kurzfristig einen Kick geben, doch der ist schnell abgeklungen und dann meldet sich womöglich erneut das Hungergefühl.

Ideal sind dagegen Toastbrot oder Knäckebrot – gern mit einem leichten Aufstrich. Auch Reis, Nudeln und Kartoffeln liefern wertvolle Kalorien. Frische Früchte aber auch Trockenobst sind ebenfalls optimal. So versorgen Bananen die Gebärende mit viel Energie und wichtigen Mineralstoffen. Doch viele Schwangere nehmen gern auch eine Brühe zu sich. Die leckeren japanischen Ramen sind schließlich nicht umsonst ein Hit. In einer solchen Bowl finden natürlich auch Nudeln und Gemüse ihren Platz. Die sogenannten „Powerballs“, oder Energy Balls, schaffen es immer häufiger als Snack für die Geburt in die Kreißsäle. Sie bestehen in der Regel aus energiereichen Nüssen und Trockenfrüchten. Ihr Vorteil: Sie können leicht vorbereitet werden, sodass sie bei „Baby-Alarm“ schnell eingepackt sind.

Bei den Getränken sollte die Gebärende auf stilles Wasser, Saftschorlen und Tees zurückgreifen. Orangen- und Grapefruit-Saft sowie stark kohlensäurehaltige Getränke reizen zu sehr den Magen und können zu Übelkeit führen.

Nicht zu viel auf einmal, MEHRERE KLEINE SNACKS SIND BESSER

Als Faustregel sollte während der Entbindung zur Stärkung immer nur so viel gegessen und getrunken werden, dass die Gebärende sich wohl und nicht belastet fühlt. Im Idealfall wird stündlich ein kleiner Snack eingenommen und ein Glas Wasser getrunken. Das beugt „Versorgungsengpässen“ vor. Im Laufe der Geburt verändern sich aber intuitiv die Bedürfnisse der Gebärenden. Mit Beginn der Austreibungsphase beispielsweise mobilisiert der Körper alle Reserven und spätestens hier steht keiner Frau mehr der Sinn nach Essen und Trinken.

Sicherheitshinweise zur Ernährung während der Geburt

Auch wenn es für die meisten Frauen empfehlenswert ist während der Geburt zu essen und zu trinken, gibt es bestimmte Umstände, unter denen dabei Vorsicht geboten ist. Besondere bei einem geplanten Kaiserschnitt unter Vollnarkose oder der Einnahme starker Schmerzmittel sollte das Thema „Essen und Trinken“ vorher mit dem medizinischen Team abgesprochen werden. Und auch, wenn Essen und Trinken kein Problem sind, könnte eine Anpassung der Ernährung notwendig werden, beispielweise bei ausgeprägter Übelkeit oder bestimmte Schwangerschaftskomplikationen. Es ist wichtig individuelle medizinische Empfehlungen umzusetzen, um die Sicherheit und das Wohlbefinden von Mutter und Kind zu gewährleisten.

Darüber hinaus hat schon die Ernährung vor der Geburt einen Einfluss, sowohl auf das Geburtserlebnis als auch selbstverständlich auf den Entwicklung des Kindes. Mehr dazu gibt’s in unserem Artikel zum Thema  „Warum die Ernährung vor der Geburt wichtig ist“.

 

Referenzen

  1. MENDELSON C.L. 1946. Am J Obstet Gynecol. doi:10.1016/s0002-9378(16)39829-5.
  2. O’Sullivan G;Liu B;Hart D., et al. 2009. BMJ. doi:10.1136/bmj.b784.
  3. Singata M;Tranmer J;Gyte G.M.L. 2013. Cochrane Database Syst Rev. doi:10.1002/14651858.CD003930.pub3.
  4. American Society of Anesthesiologists. Most healthy women would benefit from light meal during labor. https://www.asahq.org/about-asa/newsroom/news-releases/2015/11/eating-a-light-meal-during-labor. Updated February 23, 2024. Accessed February 23, 2024.